Ich habe im Vorfeld mit Kelber Monteiro auf Facebook geschrieben, welcher laut eigener Aussage der Produzent einiger junger Rapper in Praia ist und auch deren Musikvideos dreht. Ein wertvoller Kontakt, da ich hier mit dem Ziel bin, verschiedene Musiker dokumentarisch zu begleiten. Er freut sich sehr auf meine Ankunft, weil ich ihm dann Tipps für seine Videos geben kann – ich auf der anderen Seite freue mich sehr, dass ich bei ihm unterkommen und er mich an potentielle Protagonisten vermitteln kann. Eine Win-Win-Situation.
Kelber und Odair (sein bester Freund und einer der von ihm produzierten Rapper) holen mich am Flughafen ab und wir fahren mit dem Taxi zu ihm nach Hause. Hier wohnt seine ganze Familie inklusive Frau und Kind. Überall riecht es ein wenig nach Urin und Schimmel, im Bad gibt es kein fließend Wasser oder Licht und die Katze spielt mit toten Kakerlaken. Die Familie freut sich aber wahnsinnig, mich aufzunehmen – von der Distanziertheit, die ich bei den Einheimischen auf Boa Vista gespürt hab, fehlt hier jede Spur (vermutlich hat dort einfach der Massentourismus in Club-Hotels die Einheimischen und die Gäste gespalten). Kelbers Beschreibung „it’s a humble house but an open heart“ trifft es recht gut. Nachdem ich meine Rucksäcke abgestellt habe, gehen wir nebenan in Kelbers Studio, welches er sich gerade aufbaut. Er hat sich mit Lampenfassungen, Pappe und Alufolie Filmlampen gebastelt und überlegt gerade noch, wie er am besten die Hintergründe und die Musikaufnahmen löst. Ich gebe ihm ein paar Tipps fürs Licht, dann drehen wir noch eine Runde durch die Nachbarschaft, wo er alle möglichen Verwandten trifft, die mich herzlichst begrüßen.
Zurück zu Hause bekomme ich Fisch mit Gemüse und Reis. Der Fisch sieht nicht so wahnsinnig frisch aus und ich bin eh nicht der größte Fisch-Fan, deshalb nehme ich nur ein kleines Anstands-Stück und konzentriere mich ansonsten eher auf Gemüse und Reis. Danach „dusche“ ich im dunklen Bad mit ein paar bechern kaltem Wasser und einer Kernseife, sehe noch ein bisschen fern und leg mich dann ins Bett. Kelber hat extra sein Zimmer für mich geräumt und schläft in seinem „Studio“, aber Protest meinerseits ist natürlich zwecklos.
Spätestens am nächsten Tag, als Kelber seinen Computer halb auseinander nimmt, um mir ein paar seiner Musikvideos zu zeigen, merke ich, dass eigentlich er mein Protagonist werden muss. Er ist zwar selbst kein Musiker, steckt aber sein ganzes Herzblut in die Musik- und Videoproduktion für seine Freunde. Außerdem bin ich jetzt sowieso schon so nah an ihm dran, wie ich wahrscheinlich so schnell an keinen der Rapper kommen würde.
Kelber kocht Mittagessen (das gleiche wie am Vortag, nur mit Huhn statt Fisch), weil seine Mutter noch mit dem Rest der Familie in der Kirche ist. Am Nachmittag kommen ein paar Musiker in sein Studio und er hat einen kleinen Vortrag vorbereitet, warum sie ihn als Produzenten brauchen und was die nächsten Schritte sein werden (zumindest ist das das, was ich raushöre). Wir klären noch die nächsten beiden Tage, damit ich alles an Aufnahmen bekomme, was ich brauche, dann gibt es Abendessen (das Mittagessen wurde mit Kochbanane aufgewertet, ansonsten alles wie gehabt) und ich gehe ins Bett. Inzwischen fühle ich mich schon ein bisschen wohler als am Vortag – man muss einfach über manche Dinge wegsehen bzw. nicht so genau drüber nachdenken (zum Beispiel dass derselbe Eimer zum Klo spülen, Abwaschen und Kochen verwendet wird). Mein Magen hat sich bisher auch nicht beschwert.
Am nächsten Tag baut Kelber mit seinem Bruder Dämmplatten in sein Studio und ich gehe eine Runde durch die Stadt. So schön es ist, wie ich von der Familie umsorgt werde, ich bin trotzdem froh, mal alleine rauszukommen. Es wurde mir schon ein bisschen zu viel, als Kelber mir mithilfe des Google Übersetzers erklärt hat, dass Gott mich zu ihm gesendet hat (wie gesagt, alle sehr katholisch hier). Ich laufe von Palmarejo erst mal in Richtung Meer, aber da ist vollkommen tote Hose. Dann gehe ich parallel zum Ufer ein paar kleine Straßen entlang Richtung Zentrum und stoße auf einen Basar, wo es zum ersten mal etwas interessanter wird. Ich kaufe mir ein rosa 90er Jahre Nike-Cap, weil mein altes mir auf Boa Vista davongeflogen ist. Danach drehe ich noch ein paar Runden durch den Markt, suche mir ein Restaurant, wo ich Catchupa esse und setze mich anschließend eine Weile auf eine Parkbank und höre Musik. Insgesamt muss man sagen, dass für das Zentrum einer Hauptstadt ganz schön wenig los ist. Aber es ist auch Sonntag Mittag.
Mit dem Bus geht es zurück nach Hause, wo die Kinder gerade Autos aus Pappe basteln. Es wird sich sofort wieder bestens um mich gesorgt, ich dusche und schreibe ein wenig. Dann ruft mich Patrick an, ein Guide, den ich über ein Couchsurfing-Mitglied empfohlen bekommen habe, und ich treffe mich spontan mit ihm, um die nächste Episode mit ihm abzusprechen. Ich erkläre ihm, dass ich die sogenannten Sandräuberinnen dokumentieren möchte, aber einen Musikbezug brauche und deshalb eine Frau finden möchte, die dort am Strand schuftet und das in Musik verarbeitet. Patrick ermutigt mich, dass wir in Tarrafal im Norden von Santiago bestimmt jemanden finden werden.
Ich komme zurück, bekomme etwas zu Essen (bisschen anders diesmal, mit Bohnen und Fisch) und breche dann mit Kelber auf, um eine Freestyle-Session auf der Straße zu filmen – endlich mal ein bisschen Nachtleben schnuppern. Wir kommen an einen Spot mit gutem Licht, aber von den Leuten, die zugesagt hatten, kommen nur zwei. Ich filme ein wenig, einer der beiden (JP nennt er sich) bricht auf, wir warten auf neue Leute und bekommen stattdessen einen Anruf von JP, dass an einer anderen Stelle eine große Freestyle-Session ist. Also hin da. Es ist eine riesige Ansammlung von Leuten neben einem Basketballplatz und die Stimmung ist am Explodieren. Das Licht ist zwar nicht so gut wie an dem anderen Platz, aber ich werde kurz in den Kreis geworfen und bin mitten drin. Leider ist nach 5 Minuten schon wieder Schluss, die Jungs und Mädels sind nämlich schon seit drei Stunden hier. JP vermittelt allerdings, dass sie sich nächste Woche schon Freitag statt Sonntag treffen können, am Abend vor meinem Abflug nach São Vicente also.
Am Montag kaufe ich zur Abwechslung mal ein und koche, um der Familie wenigstens ein bisschen was zurückzugeben. Ich mache etwas Ähnliches zu dem, was es hier eh immer gibt, damit die Umstellung nicht zu groß wird. Kelbers Mutter wirkt skeptisch, aber ich übergebe ihr bei den letzten Schritten das Ruder und das stimmt sie positiv. Am Nachmittag sollte eigentlich ein Musikvideo gedreht werden, aber ich weiß nicht, ob es an Kelbers mangelnder Absprache oder an der Unzuverlässigkeit der Anderen liegt (vermutlich ein bisschen von Beidem), dass niemand auftaucht… Bei einem Anruf, den ich initiiere, kommt raus, dass Odair noch bis zum späten Nachmittag arbeiten muss und sich danach noch mal meldet. Ich drehe zur Überbrückung erst mal, wie Kelber seine Lampen und den Greenscreen im Studio einrichtet und hoffe auf den Anruf von Odair, dass er die anderen gleich zusammentrommelt und vorbeikommt. Natürlich wird daraus aber nichts und Kelber vertröstet mich auf Freitag, wenn ich aus Tarrafal zurückkomme. Ich packe am nächsten Morgen also meine sieben Sachen und verschwinde erst mal für drei Tage aus der Stadt.
Am Freitag komme ich für einen Nachmittag und eine Nacht zurück, dokumentiere Kelber beim Dreh seines Musikvideos und wir gehen noch mal zu einer Freestyle-Session. Es ist diesmal nicht ganz so gute Stimmung, weil weniger Leute da sind, aber die Location ist nicht schlecht. Leider ist Kelber etwas krank und sein Kamera-Akku ist leer, deshalb bekomme ich kein brauchbares Material von ihm an diesem Abend, ich werde es also irgendwie mit dem anderen Tag verschneiden müssen… Wird spannend. Am Morgen nach einer wenig erholsamen Nacht mit Bettwanzen geht es ab zum Flughafen und nach São Vicente.