Bei meiner Ankunft am Flughafen von São Vicente habe ich keine Lust, 10€ für ein Taxi zu zahlen, also gehe ich zur Hauptstraße, um auf ein Aluguer zu warten. Stattdessen kommt ein Mann mit einem Pickup vorbei, der mich nach einigem Verhandeln auch für 2€ mitnimmt. Auf dem Weg nach Mindelo kommen wir an diversen Schiffswracks vorbei, sogar ein sowjetisches Schiff mit Hammer und Sichel ist dabei – sowieso ist das so ein Ding auf den Kapverden, überall liegen einfach Schiffswracks und keiner hat Bock, sie aufzuräumen. Ich lade meine Sachen beim Simabo Hostel ab und gehe eine Runde baden. Der Strand hat weißen, groben Sand und extrem türkises Wasser (ähnlich wie in der Blue Lagoon in Island, ich vermute dass auch hier irgendeine Wechselwirkung mit dem Sand damit zu tun hat) und man hat Blick auf Berge ringsherum und diverse Schiffe, die in der Bucht liegen und von denen man auch nicht genau sagen kann, ob sie schon Wracks sind oder noch intakt. Wenn man wie ich ein Freund der gepflegten Industrieromantik ist, hat das auf jeden Fall großen Charme.
Nach der Badesession finde ich durch Zufall mein bisher bestes und gleichzeitig günstigstes Mittagessen: ein kleiner Lebensmittelladen hat zwei Töpfe auf der Theke aufgestellt, aus der man sich für 2€ inkl. Getränk bedienen kann, es ist eine Art Bohneneintopf in dem einen und sehr zartes Fleisch mit frischem Spinat in dem anderen Topf. Leider sagt mir der Besitzer auf meine Nachfrage, dass er das nur jeden letzten Samstag im Monat macht. Am Nachmittag mache ich mich auf die Suche nach Sonnencreme (schwieriger als gedacht und am Ende zahle ich 17€) und laufe ein wenig durch die Stadt. Am frühen Abend gehe ich zu einem Thai zum Essen, höre dass am Nebentisch deutsch gesprochen wird und frage, ob ich mich dazugesellen kann. Wir sitzen eine Weile, reden und trinken Bier (die drei wohnen hier und arbeiten für eine Tourismus-Agentur), dann gehe ich erst mal wieder zurück ins Hostel, um mich später noch mal mit Gabriela Mendes zu treffen, einer Musikerin von hier, mit der ich im Vorfeld geschrieben und ausgemacht habe, dass sie meine dritte Protagonistin wird.
Gabriela holt mich mit ihrem Land Rover Defender vor dem Hostel ab und wir fahren zu einer kleinen Bar, um bisschen zu besprechen, was ich will. Sie ist eine knallharte Geschäftsfrau, managt hier auch ein Guesthouse und ist ab und zu Tour Guide, sie beklagt sich immer wieder, dass man sich hier in Arbeits-Angelegenheiten auf niemanden verlassen kann und sagt mir relativ klar, dass sie das mit dem Film hauptsächlich für die potentielle Publicity macht. Ich werde etwas unsicher, ob sie die Richtige für mich ist, aber jetzt würde ich so schnell auch bestimmt niemanden mehr sonst finden. Sie sagt mir außerdem, dass sie am kommenden Donnerstag ein Konzert hat, was meinen Plan bezüglich Santo Antão etwas aus der Bahn bringt, weil ich dort eigentlich Dienstag bis Samstag hin wollte. Aber gut, dann fahre ich eben Sonntag Nachmittag bis Donnerstag Nachmittag. Ich falle nach dem Gespräch todmüde ins Bett und schlafe zum ersten Mal seit ich auf den Kapverden bin länger als bis acht Uhr.
Der Plan ist, 15 Uhr die Fähre nach Santo Antão zu nehmen. Ich gehe also nach dem Ausschlafen und ein bisschen Schneiden noch mal baden und etwas essen, packe dann meine sieben Sachen und breche zum Terminal auf, aber die Fähre um 15 Uhr am Sonntag gibt es nicht mehr. Ich ärgere mich ziemlich, aber da kann man nix machen. Zurück zum Hostel, Zimmer wieder klären und dann den späten Nachmittag bis zum Abend mit Buch am Strand verbringen. Ich gehe recht früh ins Bett, denn am nächsten Tag stehe ich 6:30 auf, um noch was von dem Tag auf Santo Antão zu haben. In der Zwischenzeit schreibt mir Gabriela, dass ich bei ihrem Konzert weder Backstage noch auf der Bühne filmen darf und sie eigentlich nur für Interviews zur Verfügung steht… Überhaupt hat sie eigentlich nur am Freitag Nachmittag mal für zwei Stunden oder so Zeit, I am a very busy woman, bla bla bla. Ich habe langsam wirklich Angst, dass der Film mit ihr nichts werden kann und halte die Augen offen nach einem Plan B.
Für die nächsten dreieinhalb Tage verschwinde ich nach Santo Antão, ohne meinen Film-Kram, aber nicht ohne das Mendes-Problem im Hinterkopf. Leider haben meine Pläne B-D alle so kurzfristig keine Zeit und ich muss das Beste aus Gabriela machen. Am Abend meiner Rückkehr muss ich mir ein Ticket für ihr Konzert besorgen und feststellen, dass es ein Sitzkonzert ist. Das ist natürlich noch schwieriger zum Drehen, ich habe jedes Mal, wenn ich aufstehe, das Gefühl, dass ich Leuten den Blick versperre. Ich bekomme trotzdem irgendwie halbwegs okayes Material und gehe mit etwas Angst vor dem nächsten Tag ins Bett.
Den Vormittag verbringe ich mit Baden und durch die Stadt laufen. Beim Künstlermarkt quatscht mich ein Typ an, mit dem ich erst mal einen Grogue am Marktplatz um die Ecke trinken soll. Zuerst denke ich noch, er will mir tatsächlich etwas zeigen und erklären… Aber je mehr er redet, desto mehr beschleicht mich das Gefühl, dass er einfach nur ein Suffkopp ist, der sich gerne mal von Touristen einen Schnaps ausgeben lässt.
Am Nachmittag treffe ich mich dann endlich mit Gabriela, die natürlich wieder betont, dass sie nicht viel Zeit hat. Wir fahren auf einen Berg mit Blick auf die Stadt und danach zu ihr nach Hause, wo sie mir jeweils ein bisschen über ihre Musik erzählt. Aber eben leider nur das, ich bekomme nur Statements und habe keine Zeit oder Gelegenheit, sie bei irgendetwas mit der Kamera einfach nur zu beobachten. Das ist extrem ärgerlich und durch diesen inneren Stress treffe ich auch noch ein paar falsche Entscheidungen bei der Bildgestaltung. Allerdings ist sie persönlich etwas aufgetaut (auch weil ich ihr versprochen habe, 1-2 Veranstaltern in Deutschland ihre Musik zu zeigen) und ich überlege, ob ich sie vielleicht noch mal auf ihrer nächsten Europatour im Herbst in Leipzig treffen sollte. Den Abend verbringe ich damit, Material zu sichten und eine grobe Schnittstruktur anzulegen, um zu sehen, ob es einigermaßen funktioniert. Es ist nicht ganz so schlimm wie zunächst erwartet, aber Leipzig behalte ich trotzdem mal im Hinterkopf.
Am Samstag, meinem letzten Tag auf São Vicente, regnet es zum ersten Mal. Ich bin dadurch den Vormittag ein bisschen gefangen in der Unterkunft, am Nachmittag treffe ich mich mit Fabio und Camille, die ich eine Woche vorher beim thailändischen Essen kennengelernt habe, und wir fahren zusammen nach São Pedro zum Strand direkt hinter dem Flughafen. Die Stimmung dort ist super, es sieht alles ganz anders aus als im 10km entfernten Mindelo, das dann doch extrem europäisch geprägt ist. Die Wellen sind deutlich höher als am Stadtstrand, was großen Badespaß beschert. Wir sehen auch immer mal wieder eine große Schildkröte und einen kleinen Hai zwischen den Wellen – ich hätte die ja gar nicht erkannt, aber Camille hat ein Auge dafür, weil sie mehr oder weniger auf dem Meer aufgewachsen ist. Als dann langsam die Sonne untergeht, machen die Strandbars auf und es wird laut Musik gespielt, was allgemein für noch mehr Stimmung sorgt. Wir fangen an, Bier zu trinken und beschließen, hier zu bleiben. Dass das Bier so billig ist und es kein Restaurant im Ort gibt, ist etwas verhängnisvoll, aber es wird ein lustiger Abend. Irgendwann wird vor der Strandbar ein Laufsteg abgesteckt und es findet ein Catwalk von minderjährigen Mädels in knappen Bikinis statt – fühlt sich wahnsinnig falsch an und hat bisschen was von Little Miss Sunshine, nur ohne die Republikaner-Eltern, dafür mit pfeifenden Jungs. Später soll noch ein lokaler DJ mit gewissem Bekanntheitsgrad in einem witzigen kleinen Club direkt am Strand ein Set spielen, aber es gibt wohl keine Tickets mehr. Weil Fabio und Camille trotzdem noch bleiben wollen, ich aber noch packen und am nächsten Morgen 6:30 Uhr aufstehen muss, muss ich mir alleine ein Taxi zurück nehmen. Die Einheimischen sorgen sich aber bestens um mich, damit ich sicher nach Mindelo komme. Nach einer kurzen Nacht trete ich meine langwierige Heimreise an, mit Zwischenstopps in Praia, Boa Vista und Köln. Ciao, Cabo Verde! Ti logu!