Wir kommen am Abend hungrig in Miami an und essen kolumbianisch bei einem Restaurant nicht weit von unserem muffigen, aber gut gelegenen Hotel in Miami Beach. Danach suchen Josie und ich noch den Strand auf, um einmal schnell reinzuspringen, denn es sind immer noch mindestens 25 Grad. Wir reden auf dem Weg noch über Josies Hai-Phobie und treffen am Strand direkt als erstes auf einen Angler, der einen toten Hai neben sich liegen hat. Er ist ungefähr 1,20m lang und der Angler sagt uns, das sei ein Baby. Wir springen trotzdem noch mal für 30 Sekunden ins Meer und bleiben im flachen Wasser.

Der erste Tag ist hauptsächlich dem Strand gewidmet. Wir baden am North Beach und am South Beach und tanken etwas Sonne nach den anstrengenden und regnerisch-kalten Wochen in North Carolina. Dazwischen laufen wir noch ein wenig durch das für seine Street Art bekannte Viertel Wynwood und abends den dekadenten Ocean Drive entlang, um uns mal das ganze Miami-Spektakel zu geben. Es ist ziemlich genau so, wie ich es mir vorgestellt habe: dreißig Grad, viele schönheitsoperierte Menschen in Lamborghinis, überteuerte Restaurants und Cafés, überall Palmen und der Sonnenuntergang ist violett-orange.

Wynwood

Ocean Drive

Josie und mir reicht der eine Tag Miami und wir fahren eine Stunde nach Süden zum Biscayne National Park, während Max und Colin in der Stadt bleiben. Auf dem Weg dorthin sind wir umgeben vom saftigsten Grün, das ich seit langer Zeit sehe. Wir hatten große Sorge, ob die Nationalparks überhaupt offen sind, weil der werte Herr Trump erst kürzlich den „nationalen Notstand“ ausgerufen hat, damit er endlich seine Mauer bekommt. Kurz davor, beim Government Shutdown mussten nämlich alle Beschäftigten der US-Nationalparks für über einen Monat in den unbezahlten Zwangsurlaub gehen. Zum Glück hat der nationale Notstand nicht solche Auswirkungen und wir können uns ein Kajak mieten, um durch die Mangrovenwälder zu paddeln.

Der Angestellte, der uns die Einweisung gibt, war auch sichtlich genervt von dem Regierungskindergarten rund um die Mauer und sagt, man könne nie wissen, wann der nächste Shutdown kommt. Außerdem erzählt er uns diverse Fun Facts rund um den Nationalpark, zum Beispiel dass das Kühlungssystem des anliegenden Atomkraftwerks die Krokodilpopulation verzehnfacht hat, weil sie sich in den Wasserkanälen besonders wohl fühlen. Das Kraftwerk ist sogar in den Ausmalbüchern für Kinder vertreten, weil es ein fester Bestandteil des hiesigen Ökosystems geworden ist. Paradox. Außerdem fragt Josie ihn noch, ob er meint, wir könnten uns auf dem Rückweg eine der wunderbar grünen Kokospalmen-Plantagen mal genauer ansehen, an denen wir vorbeigefahren sind – davon rät er uns ab: „People here are very protective over their land… and they do have guns.“

Auf unserer Paddeltour sehen wir Pelikane, Reiher, diverse andere Vögel, springende Fische und sogar den Umriss eines Manatees unter Wasser. Vor allem ist es aber wunderbar ruhig und landschaftlich sehr schön. Danach gibt es einen leckeren puertoricanischen Pilz-Burger und wir fahren auf dem Weg zurück in die Stadt durch extrem dekadente Villenviertel an Gated Communities vorbei, wo vor uns eine Stretch-Limo irgendwelche Celebrities zu irgendeiner exklusiven Poolparty fährt. Auch mal interessant zu sehen. Außerdem stehen hier massiv beeindruckende Bäume an den Straßen und es laufen einfach Pfauen durch die Wohngegend.

Riesen-Baum als Statussymbol

Am nächsten Tag machen wir uns auf den Weg in die Everglades. Vorher besorgen wir uns aber noch einen Haufen völlig überteuerter Gebäckstücke in einer kubanischen Bäckerei, wo niemand englisch redet, und setzen uns damit auf eine Kirchentreppe. Während wir untermalt von einer Salsa-Playlist auf Spotify Zimtschnecken und Empanadas schlemmen, beobachten wir fast eine Stunde lang einen Mann, der sich nebenan den platten Reifen an seinem Auto ratlos ansieht. Er ist allerdings laut eigener Aussage fest davon überzeugt, dass er ihn selbst wechseln kann. Die ganze Szenerie ist ziemlich witzig für uns, weil wir gerade eine Woche zuvor auf dem Austauschprojekt in North Carolina einen Kurzfilm gedreht haben, in dem der Protagonist unbedingt selbst den platten Reifen wechseln möchte, um seine Frau und vor allem sich selbst von seiner Männlichkeit zu überzeugen.

Kirchen-Frühstück

Nach klassisch-amerikanischer Manier ist im Nationalpark alles gut mit dem Auto zu erreichen und von dort aus auf perfekt ausgebauten Wegen in kleinen Spaziergängen zu erschließen. Wir wollten eigentlich auch gern noch mit dem Boot weiter in die Sümpfe (wo man sicherlich noch sehr viel mehr gesehen hätte), allerdings sind so kurzfristig keine Kanus mehr für individuelle Touren verfügbar und die geführte Tour ist unverschämt teuer. Wir könnten eine dieser Tourifallen-Rundfahrten mit einem Airboat machen, aber auf so einer lauten Höllenmaschine durch den Dschungel zu preschen, hat für mich wenig mit dem zu tun, was ich mir von einem Nationalpark erwarte. Es ist trotzdem sehr interessant, vor allem auf dem geschotterten „Loop Road“. Wir sehen neben Schildkröten und Reihern eine ganze Menge Alligatoren, teilweise sehr nah, und die Landschaften mit den im Wasser stehenden Bäumen sind beeindruckend. Mittags machen wir einen unvermittelt schönen Zwischenhalt auf einem Hinterhof mit einem Yard Sale und bestem Südstaaten-Charme. Maureen, eine etwa 60-jährige Frau, die sich offensichtlich eher wie 25 fühlt, empfängt uns herzlich und erklärt uns, das hier sei ein sogenanntes „Speakeasy“, eine Art illegale Bar. Ein paar Harley-Fahrer haben sich hier versammeln und speaken easy bei einem kühlen Bier im Pavillon. Ich genehmige mir auch einen „Twisted Tea“, der in der Nachmittagshitze direkt ansetzt und mir auf dem Hängesessel ein sofortiges Urlaubsgefühl vermittelt.

Lost in the Glades.

Eine außerordentlich hässliche Schildkröte.

Maureens Garten

Gators

Wir schlagen Monument Lake Campground unsere Zelte auf und werden von der Campingplatz-Leiterin darauf hingewiesen, dass unser Platz genau auf der Route der Alligatoren zwischen dem See und dem Wald liegt. Wenn wir nachts aus dem Zelt gehen, sollen wir immer eine Taschenlampe anmachen und wenn wir zwei orangene Punkte sehen, sind das Alligator-Augen – dann sollen wir uns einfach groß und laut vor ihnen aufstellen, so könne uns eigentlich nichts passieren. Tatsächlich liegt direkt neben unserem Schlafplatz ein Alligator im See und schaut uns etwas vorwurfsvoll an, aber bleibt entspannt.

Es folgt mein persönliches Highlight: eine Paddeltour durch die Ten Thousand Islands mit Wildcamping auf Jewell Key. Wir müssen uns im Nationalpark-Informationscenter eine Camping-Genehmigung besorgen und die Sicherheitsvorkehrungen anhören. Wir werden gewarnt, dass auf Jewell Key eine Menge Waschbären wohnen und wir dringend aufpassen sollen, dass sie unser Essen und Wasser nicht anrühren. Die Waschbären scheinen nämlich ein echtes Problem zu sein, weil sie die Eier der Schildkröten essen und mit zusätzlicher Nahrung unsererseits würden wir ihnen helfen, sich weiter zu vermehren. Dann besorgen wir uns zwei ziemlich überteuerte und ziemlich schrottige Seekajaks, zu denen wir nicht mal einen einzigen Seesack bekommen, weshalb wir uns mit Plastiktüten behelfen. Gegen 13 Uhr brechen wir von Everglade City in den Golf von Mexiko auf.

Wir fahren etwa eine Stunde, sehen eine gigantische Schildkröte, die ihren Kopf aus dem Wasser streckt (er ist mindestens so groß wie mein Kopf) und machen dann einen Zwischenstopp auf Sandfly Island. Zum Glück ist es noch zu warm, als dass die Insel ihrem Namen alle Ehre machen würde. Wir essen eine Kleinigkeit und spazieren noch ein bisschen über die Insel. An den Stämmen der Mangroven krabbeln ganz viele kleine Krabben im Gleichschritt nach oben. Ein skurriles Spektakel.

Auf dem weiteren Weg in Richtung Jewell Key wird die Umgebung schon langsam in Abendlicht getaucht und wir sehen nicht allzu weit von uns entfernt eine Gruppe Delfine. Kitschig, aber schön. Wir teilen uns die Insel mit einer anderen Gruppe, die mit eigenen Kanus und bester Ausstattung eine etwas größere Tour durch die Ten Thousand Islands macht. Nach dem durch tausende Sandfliegen erschwerten Zeltaufbau profitieren wir von der Säge und den Anzündhölzern der anderen Gruppe, brauchen aber durch den Wind trotzdem eine halbe Ewigkeit, um unser Feuer zu entfachen. Es gelingt uns erst, nachdem wir aus Korallen eine komplette Höhle um das Kleinholz gebaut haben. Wir grillen und sitzen entspannt am Feuer, sehen uns den unverdorbenen Sternenhimmel und Fischschwärme an, die mit großem Lärm im flachen Wasser springen und beobachten einen einsamen Waschbären – von der angekündigten Waschbären-Invasion keine Spur.

Wäsche trocknen

Lager

Teamwork

Korallen-Höhle

Am nächsten Morgen gehe ich direkt baden und sehe zwischen den ganzen Pelikanen, die sich unelegant ins Wasser schmeißen, wieder drei Delfine umherschwimmen. Ich versuche, zu ihnen zu schwimmen, aber sie haben weniger Interesse an mir als an den Fischen, die sich scheinbar von der Insel weg bewegen. Josie und ich beschließen, mit dem Kajak etwas näher hinzufahren und tatsächlich sehen wir sie so noch mal aus nächster Nähe. Einer von ihnen springt in etwa fünf Metern Entfernung aus dem Wasser, ein zweiter taucht unter unserem Boot durch.

Für den Rückweg zum Festland nehmen wir eine andere Route und halten noch mal auf der Jack Daniels Key, wo sich eine große Gruppe weißer Pelikane niedergelassen und offenbar das eine oder andere Fressfest veranstaltet hat, denn es riecht ziemlich streng nach altem Fisch. Dann begeben wir uns langsam aber sicher wieder in Richtung Everglade City und haben trotz fehlender Gezeiten-App (die uns von den Park Rangern empfohlen wurde, für die aber das Netz leider nicht gereicht hat) ziemliches Glück mit der Strömung. Trotzdem ist der Rückweg in der prallen Mittagssonne ordentlich anstrengend und wir alle verbrennen uns ein bisschen, selbst mit 50er Sonnencreme. Entsprechend fertig sind wir bei der Ankunft, fahren erst mal zu Joanie’s Blue Crab Cafe und besprechen beim Essen die weiteren Pläne. Colin und Max haben genug vom Camping und bezahlbare Unterkünfte an Floridas Westküste gibt es so spontan während der Spring Break nicht mehr, deshalb einigen wir uns darauf, noch mal einen kurzen Abstecher an den Strand von Naples zu machen und dann Abends für unseren letzten vollen Tag Richtung Miami bzw. Fort Lauderdale zurückzufahren.

Wenn meine Urzeitkrebse aus der Micky Maus damals nicht gestorben wären, würden sie heute vermutlich auch so aussehen.

Naples Beach. Bisschen wie Ostsee.

In Fort Lauderdale haben wir unsere bisher geräumigste Unterkunft und zum ersten Mal jeder ein eigenes Bett. Da ich von Miami an unseren ersten beiden Tagen genug gesehen habe, hab ich keinen Bedarf mehr, das etwas mehr als eine halbe Stunde nördlich gelegene Fort Lauderdale zu verlassen. Josie und ich lassen uns am wunderschönen Snyder Park rauswerfen, der mit seinen knorrigen Bäumen und Leguanen teilweise fast wie ein kleiner Dschungel anmutet, nur der Straßenlärm verrät leider zu jeder Zeit die Stadt. Max und Colin sind mit dem Auto nach Miami gefahren, Josie fährt nach einer Weile im Park auch mit den Öffentlichen Richtung Little Havana und ich bleibe in einem der Pavillons am See sitzen, lese und schreibe ein bisschen und schone meinen Sonnenbrand. Am Abend spaziere ich noch durch sehr gutbürgerliche Viertel, fühle mich ein bisschen wie in jedem dritten amerikanischen Film und am nächsten Morgen treten wir unsere 28-stündige Heimreise an.