Die Bilder in diesem Beitrag sind mit einer Leica M6 entstanden, deren Innenbelichtungsmesser – wie ich nachher erfahren musste – kurz vor der Reise kaputt gegangen ist. Deshalb sind fast alle schrecklich unterbelichtet und dieser Artikel enthält sehr viel weniger Fotos, als gedacht – nämlich diejenigen, auf denen man zumindest etwas erkennt. Farbfotos: Fuji Velvia 100. Schwarzweißfotos: Agfa Scala push auf 1600. Objektiv: Voigtländer Nokton 35mm 1.2.

Tag 1 – Start

Mit dem Zug einmal quer durch Osteuropa (mit Zwischenstopp in Belgrad) und dann in Istanbul mit Johanna, Berni und Laura zusammentreffen, um den Jahreswechsel zu zelebrieren – das ist der Plan. Der Zug ab Dresden hat schon starke Verspätung, irgendwas mit einer defekten Bremsanlage oder so. Die Bahnangestellten scheinen sich gern gegenseitig die Verantwortung zuzuschieben, denn als ich den Schaffner auf deutscher Seite frage, ob der Anschlusszug in Prag wartet, sagt dieser nur „das müssen Sie dann mit den Tschechen klären“ und hinter der Grenze wird mit einer Durchsage klargemacht, dass der Zug verspätet ist, weil er schon verspätet aus dem Ausland kam. Aha, danke. Somit habe ich dann einen kurzen Zwangsaufenthalt in Prag, der sich bei frühlingshaftem Wetter aber durchaus aushalten lässt. Auf der Weiterfahrt nach Budapest teile ich mein Abteil mit einer etwas anstrengenden jungen Dame, die der festen Überzeugung ist, dass sie in Indien mal einen wilden Gorilla im Haus hatte (es war definitiv ein Gorilla!) und mich fragt, ob die Kondensstreifen am Himmel Sternschnuppen seien – am helllichten Tag, wohlgemerkt.

In Budapest ist es neblig und kalt und alle Läden sind geschlossen. Ich verbringe deshalb meine zwei Stunden Wartezeit zum Großteil in einem montenegrinischen Restaurant und freue mich, dass ich nicht wie geplant vier Stunden in Budapest habe. Die Weiterfahrt erfolgt in einem extrem stickigen Liegewagen. Die Lüftung ist auf kalt eingestellt, aber es herrschen trotzdem etwa 25 Grad im Abteil. Nach der Grenzkontrolle kann ich meine beiden erst äußerst skeptischen Mitreisenden dann doch davon überzeugen, das Fenster einen Spalt aufzumachen und von da an ist es eine sehr erholsame Nacht mit frischer Luft dem beruhigenden Klacken der Gleise.

Tag 2 & 3 – Belgrad

Wir erreichen Belgrad um etwa 6:30 Uhr. Die Stadt ist schon in reger Bewegung. Über allem liegt ein leichter Nebel, aber mit farbenfrohem Sonnenaufgang und Vollmond. Ich schlendere durch den Festungspark Kalemegdan und durch die Altstadt, während es langsam hell wird und hole mir dann ein ziemlich gutes Frühstück mit ziemlich gutem Kaffee für ziemlich wenig Geld. Ich gehe zurück zum Bahnhof, um mir schon mal das Ticket für die Weiterfahrt zu kaufen, als gerade ein Zug mit Flüchtlingen ankommt, die zu einem zentralen Platz geleitet werden, wo sie an einem Rotes-Kreuz-Stand eine Tüte mit Lebensmitteln bekommen und auf ihre Weiterfahrt warten. Ich besorge mir ein Tagesticket für die öffentlichen Verkehrsmittel, welches so viel kostet wie in Dresden eine Einzelfahrt und fahre zur bekanntesten Sehenswürdigkeit von Belgrad, der Kirche des Heiligen Sava. Sie ist ziemlich eindrucksvoll und ich setze mir ein Foto in den Kopf, in dem die Kirche im Vordergrund und die ganze Stadt im Hintergrund ist – die nächste Stunde verbringe ich erfolglos damit, einen Ort zu suchen, von dem aus ich dieses Foto schießen kann und der einzige Ort, an dem das theoretisch möglich wäre (ein Hotel) möchte mich nicht in die oberen Etagen lassen, ohne dass ich vorher eine E-Mail an den Sicherheitsdienst schreibe. Ich fahre noch ein wenig mit Bus und Bahn durch die Stadt und wandere eine Weile durch die Vororte. Die öffentlichen Verkehrsmittel in Belgrad sind wahnsinnig unübersichtlich. Es gibt nirgendwo eine Karte des gesamten Netzes, nur an manchen Haltestellen ist ein kurzer Abschnitt einer Karte, auf denen man wenigstens erahnen kann, wo die Reise hingeht. In den meisten Fällen verfolge ich also auf dem Handy per GPS, wo ich gerade bin und sobald der Bus eine falsche Abbiegung nimmt, steige ich aus und versuche mein Glück mit einer anderen Linie.

Am zweiten Tag stehe ich wieder um sieben auf, wegen Licht und so. Es ist äußerst neblig. Ich hoffe erst, dass sich das schnell wieder legen wird, aber es bleibt den ganzen Tag so. Am Nachmittag wechsle ich die Donauseite und befinde mich in einer gigantischen Betonwüste – massive Plattenbauten wohin man sieht. Umso erstaunter bin ich, als ich den Stadtteil Semlin entdecke: Balkan-Dorfromantik mitten im Großstadtdschungel. Ein kleiner Teil ist sehr touristisch, mit einer Reihe von teuren Fischrestaurants, aber sobald man die ungeteerten Straßen ein paar Minuten weiter läuft, fühlt man sich absolut nicht mehr wie in einer Stadt, geschweige denn einer Hauptstadt. Abends gucke ich mir noch das Kneipenviertel Skadarska an, das eigentlich nur eine Straße und erstaunlich ruhig ist. Ich überbrücke die Wartezeit bis zu meinem Nachtzug in einem recht edlen, aber sehr bezahlbaren Restaurant (die serbische Küche ist okay, aber wird es nicht in meine Top 10 schaffen) und fahre dann weiter in Richtung Bulgarien.

Tag 4 – Sofia

Irgendwann zwischen vier und fünf Uhr morgens kommt es im Abteil nebenan zu einer äußerst lautstarken Diskussion über irgndwelche Dokumente (das ist das einzige, was ich verstehe) – es klingt so, als würde jemand nicht über die Grenze gelassen werden. Ich werde es nie rausfinden, weil ich irgendwann doch wieder einschlafe und pünktlich zum Sonnenaufgang wieder aufwache. Die hügelige Landschaft zwischen Serbien und Bulgarien wird in goldgelbes Licht getaucht und ein Stück hinter der Grenze sind die Wiesen und Bäume von Frost überzogen und glitzern in der Sonne. Ich halte meinen Kopf immer so lange aus dem Fenster bis er von der Kälte schmerzt, wärme mich kurz auf und wiederhole dann das Spiel.

Selbst trotz niedriger Erwartungen ist die Ankunft in Sofia ernüchternd. Es ist, als wäre ich in die tiefste Sowjetunion zurückgeworfen worden. Der Bahnhof  aus Beton und Stahl bildet eine optische Symbiose mit dem grauen Wetter; einige Typen wollen den „Info Guide“ spielen und Geld an mir verdienen – einer von ihnen ist besonders aufdringlich und besteht darauf, dass es sinnvoller ist, direkt mit dem Bus nach Istanbul zu fahren, da man mit dem Zug nur bis an die Grenze kommt und dann sowieso in den Bus umsteigen muss. Ich will ihm erst nicht glauben, da ich mir eigentlich eine Direkt-Zugverbindung rausgesucht hatte, aber die Frau am Schalter bestätigt mir, dass diese Verbindung nicht existiert. Trotzdem: Ich hab mir vorgenommen, alles mit dem Zug zu fahren – also fahre ich wenigstens alles mit dem Zug, was möglich ist. Das Kartenlesegerät am Schalter ist defekt und ich brauche eine gute Stunde, bis ich einen Automaten finde, der meine Karte akzeptiert ohne dass ich immense Summen abheben muss. Als ich dann endlich Bargeld in der Hand halte, kostet das Ticket auf einmal 58 Lew, obwohl es an der Info noch 57 waren. Ich sage, dass ich 57 zahle und das ist auch okay. Auf dem Ticket selbst steht dann 44 Lew. Das nenne ich mal eine transparente Preispolitik.

Auf den zweiten Blick ist Sofia nicht ganz so hässlich, wie es der erste Eindruck suggeriert. Schön ist trotzdem anders. Überall stehen sozialistische Denkmäler und das optische Highlight ist eine riesige Bergwand, auf die man durch die Fußgängerpassage blickt. Am Nachmittag kommen sogar vereinzelt Sonnenstrahlen durch den Nebel und malen helle Flecken in die Berge. Ich verbringe den Großteil des Tages damit, ein Fotogeschäft zu finden, welches eine passende Batterie für meine Kamera führt. Als ich am Abend wieder zum Bahnhof zurückkomme, stelle ich fest, dass auf meinem Ticket gar kein Bahnsteig steht. Mit erhöhtem Zeitdruck eile ich im Bahnhof von A nach B und jeder erklärt mir, dass ich da an einem anderen Schalter fragen muss, bis ich letztendlich wieder am ersten ankomme. Als ich etwas energischer nachhake, glaubt die Dame nun doch zu wissen, der Zug würde vom Bahnsteig 5 abfahren – und glaubt zum Glück richtig. Vor dem Zug steht ein Typ, der mir beim Einsteigen „Fuck Istanbul!“ hinterherruft und sich mit seinem Finger symbolisch die Kehle durchschneidet. Auf meinen vermutlich ziemlich entrüsteten Blick fügt er noch hinzu: „Forever deutsche Liberale“. Was auch immer.

Der Umstieg in den Bus an der Grenze gestaltet sich recht unspektakulär, die türkischen Grenzpolizisten sind extrem entspannt. Gegen sechs Uhr morgens erreiche ich dann Istanbul.

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Liegewagen

Liegewagen

Schaffner

Schaffner

Belgrader auf dem Weg zur Arbeit

Belgrader auf dem Weg zur Arbeit

Belgrad im Morgengrauen

Belgrad im Morgengrauen

Sozialistische Baukunst

Sozialistische Baukunst

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Wohnen mit Panorama

Wohnen mit Panorama

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Nebelpark

Nebelpark

Belgrad Hauptbahnhof

Belgrad Hauptbahnhof

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Und noch die Handybilder:

Balkanromantik. #serbia #belgrade #balkan #street #zemun

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#belgrade #danube #misty #boats #zemun

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Good morning Bulgaria! #train #balkan #mountains

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Ich bin dann mal weg. #railtrip #outnabout

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