Wenn man von Deutschland auf die Kapverden fliegt, gehen die günstigsten Flüge, und zwar mit relativ großem Abstand, nach Boa Vista – eine Insel, die außer Strand-Resorts auf den ersten Blick wirklich nicht viel zu bieten hat. Ich stelle kurz nach meiner recht spontanen Flugbuchung fest, dass meine naive Vorstellung, man könne einfach jederzeit eine Fähre von Insel zu Insel nehmen, überhaupt nicht zutrifft. Von Boa Vista beispielsweise gibt es aktuell gar keine Fähren und über die Mitfahrt auf Frachtschiffen findet man auch keine Erfahrungsberichte. Da mein Portugiesisch auch wirklich rudimentär ist und mir mehrere Einheimische, mit denen ich vorher auf Facebook und Couchsurfing schreibe, bestätigen, dass es eigentlich keine andere Möglichkeit gibt, buche ich für vier Tage später den ersten verfügbaren Flug nach Santiago Island. Aber nun erst mal zu meinen ersten Tagen auf Boa Vista…

Schon am Check-in-Schalter in Köln wird mir mehr und mehr klar, dass ich hier eher eine Rarität bin – zum Beispiel bin ich der Einzige, der einen Rucksack als Aufgabegepäck abgibt. Im Flugzeug werden von Menschen in Poloshirts fleißig Uhren, Parfums und Zigaretten gekauft (ich fühle mich ein bisschen wie in den Neunzigern) und am Ziel angekommen bin ich einer von fünf oder sechs Personen, die nicht in den großen blauen Tui-Bus einsteigen, um zur Hotelanlage gefahren zu werden. Der Flughafen von Boa Vista ist so ziemlich der charmanteste Flughafen, den ich kenne. Alles ist offen, nur einige Teile überdacht, viel Holz und Naturstein. Ich komme bei meinem ebenfalls recht charmanten Guesthouse in der Stadt Sal Rei an und gehe gleich mal zum kleinen Strand direkt nebenan, an dem die Hölle los ist. Locker zweihundert Leute, größtenteils Jugendliche, sind am Baden, Fußball und Frisbee spielen, tanzen und trinken. in einem Pavillon ist eine Anlage aufgebaut, aus der laute Musik schallt. Es ist leider nicht ganz so einfach, mit den Locals Kontakt aufzunehmen, besonders wenn man nicht wirklich Portugiesisch spricht. Ich verbringe trotzdem den restlichen Abend hier, esse noch etwas und gehe früh ins Bett.

Dem Boiz.

Sunny boy.

Fünf Uhr morgens wache ich kurz auf, weil ich einen Chor auf der Straße höre. Gegenüber von meinem Guesthouse ist eine kleine Kapelle, wo offenbar ein Gottesdienst stattfindet. Es wirkt, als wären die Kapverdianer allgemein sehr musikalisch, zumindest hat der Gesang nichts von dem heillosen Durcheinander, das man in deutschen Kirchen so hört. Ich schlafe noch ein bisschen und treffe mich dann mit Anita, einer Schweizerin, die vor fünf Jahren hier hergezogen ist und mit der ich im Vorfeld über eine Facebook-Gruppe schon ein bisschen geschrieben habe. Sie zeigt und erklärt mir ein paar Dinge. Unter anderem erzählt sie mir von einem großen Fest in ihrem Dorf, das am nächsten Tag anlässlich von Mariä Himmelfahrt stattfindet (die Kapverdianer sind zum Großteil sehr katholisch). Außerdem nimmt sie mich zusammen mit ein paar Tui-Touristen mit zum Tierheim, um Spenden abzugeben. Sie ist nämlich, wie die meisten hier, in der Tourismusbranche. Den restlichen Tag verbringe ich dann mit einem Strandspaziergang, Baden und Leute beobachten. Was relativ schnell auffällt, ist, dass die kleinen Lebensmittelgeschäfte hier alle von Chinesen geführt werden. China hat laut Anita vor vielen Jahren mal einen Deal mit den Kapverden ausgemacht, dass sie sie beim Hafen- und Straßenbau finanziell unterstützen und dafür Steuervergünstigungen beim Import und Handel von waren bekommen. Dadurch wurden die meisten einheimischen Einzelhändler in den Ruin getrieben, weil das Geschäft für chinesische Händler einfacher und rentabler ist.

Chillaxen.

Installation am Strand.

Beute.

So viele schöne Menschen.

Am Tag darauf ziehe ich von meinem Guesthouse zu meinem Couchsurfing-Host Ralf, ebenfalls einem deutschen Expat, der hier Touren anbietet. Nach einer kleinen Bade-Runde möchte ich mit dem Minibus von Sal Rei nach João Galego fahren (25km), um mir das katholische Fest mal anzusehen. Ich werde nach einem Drittel der Strecke in Rabil rausgeworfen und an einen Pickup vermittelt, der mich weiter bringt. Allerdings fährt dieser erst mal 45 Minuten wild hupend durch den Ort, um noch weitere Fahrgäste oder Transport-Waren für die Fahrt zu gewinnen, bevor es dann tatsächlich mal weiter geht. In João Galego angekommen ist bis auf bunte Fähnchen in den Straßen noch nicht viel zu sehen, der Ort ist aber wirklich schön. Ich setze mich auf einen Bordstein in den Schatten zu ein paar Einheimischen. Eine von ihnen spricht etwas spanisch, womit ich schon mal weiter komme als mit Portugiesisch. Sie klärt mich auf, dass es erst später losgeht. Als ich etwas später ein paar mehr Leute auf dem Dorfplatz vernehmen kann, gehe ich hin und es wird gerade ein öffentliches Essen aufgebaut. Ein älterer Herr sorgt sich sehr darum, dass ich auch etwas bekomme. Es gibt Cachupa, das kapverdische Nationalgericht. Nach einer Weile zwischen all den gut gelaunten Einheimischen, mit denen es mir wieder mal nicht allzu gut gelingt, Kontakt aufzubauen, muss ich auch schon wieder zurück in die Stadt, weil ich mir bei Ralf eine Schildkröten-Tour im Tausch gegen ein Video geklärt hab.

Mittagessen.

Karibisches Flair.

Wir holen mit dem Pickup bei den großen Bettenburgen die Gäste ab und fahren in der Nähe der ganz großen Bettenburg RIU Touareg im Süden der Insel an den Strand, an dem sich die Turtle Foundation niedergelassen hat. Wir haben Glück und müssen nicht allzu lange warten, bis sich eine Schildkröte ihren Platz zum Eier legen gesucht hat. Es ist eine sogenannte „Unechte Karettschildkröte“ (caretta caretta) und sie ist etwa 90cm lang. Wir beobachten sie mit rotem Licht (welches die Schildkröten nicht wahrnehmen) eine gute halbe Stunde dabei, wie sie schätzungsweise 50-60 Eier in ein Loch legt (fühlt sich irgendwie ein bisschen falsch an), daraufhin wird sie von Freiwilligen der Turtle Foundation gemessen und gechippt. Danach buddelt sie etwas unelegant das Loch wieder zu und schmeißt dabei ordentlich mit Sand um sich, bevor sie wieder ins Meer verschwindet. Schon faszinierend, das mal aus der Nähe zu sehen.

Am nächsten Tag mache ich mit Anita eine Südtour (wieder gegen Video), weil ich auf Boa Vista sonst eh nicht viel machen kann, außer Baden. So richtig spannend finde ich es ehrlich gesagt nicht, vor allem weil die Spots, die wir abklappern, gleichzeitig von fünfzehntausend anderen Touranbietern besucht werden und die Orte dementsprechend auch ihre Ausrichtung und ihr Preisniveau angepasst haben – authentisch ist anders, aber Boa Vista ist eben zusammen mit Sal auch der Touri-Hotspot der Kapverden. Der Strand Santa Monica, wo wir in einem netten kleinen offenen Restaurant Mittag essen, ist allerdings wirklich schön und ein bisschen verstehe ich beim Baden dort dann auch den Reiz eines Strandurlaubs. Das verstehen auch die chinesischen Investoren, die dort gerade eine gigantische Hotelanlage bauen, welche in 15 (in Worten: fünfzehn!) Jahren fertiggestellt werden soll. Nachdem wir die anderen wieder in ihren 5-Sterne-Clubs abgeliefert haben, zeigt mir Anita aber noch ein paar Ecken in der Stadt, wo wahrscheinlich sonst kaum Touristen einen Fuß hinsetzen.

Im Bild: schöne Höhle am Strand. Außerhalb des Bilds: 50 Menschen und unzählige Schmierereien an der Höhlenwand.

Ich bin am Freitag dann irgendwie schon recht froh, die Insel zu wechseln. Ich gehe noch mal lecker frühstücken im Boaventura Guesthouse, eine Runde schwimmen und schneide das Schildkröten-Video, dann breche ich langsam zum Flughafen auf, von wo aus ich mit einer Propellermaschine nach Praia fliege. Dort erwartet mich auf jeden Fall eine völlig andere Welt.